Pfui Spinne, wäh Kröte - Heimische Gifttiere
published in
Issue 6, 2002: 8-13 (Arthropoda).
Angst und Abscheu vor der scheinbaren Gefahr sind meist die Triebfedern für Verfolgung und Totschlagen. Dabei heißt giftig noch lange nicht gefährlich für uns Menschen. Nur das Wissen um die Zusammenhänge ist der Stoff, aus dem Achtung und Toleranz für Spinnen, Schlangen & CO. entstehen können.
Menschen verwendeten von Beginn an Giftstoffe aus dem Tier- und Pflanzenreich. Sie lernten mit den Gefahren zu leben, Gifte bei der Jagd und im Krieg einzusetzen, wie etwa die Pfeilgifte in Südamerika und Afrika, aber auch Gifte für Heilzwecke zu verwenden. Hier sei getrocknete Krötenhaut (Chán su oder Sen-so) genannt, die zur Bekämpfung von Herzschwäche in China und Japan angewandt und bereits vor mehr als 4000 Jahren erwähnt wurde.
Wissen ist Serum gegen die Angst
Trotz des guten Allgemeinwissens, über das wir heute verfügen, rufen Gifttiere immer noch vielerorts hysterische Reaktionen hervor. Solche sind jedoch gerade bei den hierzulande vorkommenden giftigen Vertretern unangebracht. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen stellen diese nämlich keine wirkliche Gefahr für uns Menschen dar. Man begegnet diesen Tieren nur äußerst selten, weil sie im Verborgenen leben und beim Herannahen fliehen. Der Kontakt verläuft ohne Beeinträchtigung, weil das Gift ohnedies harmlos ist. Einem an Phobie, einer krankhaften Angst, leidenden Menschen wird diese Aussage jedoch noch kein bisschen der Furcht nehmen. Und der Skeptiker würde auf die Ausnahmen verweisen.
Wie eine Phobie entstehen kann
Ein Kleinkind sitzt vor einer Spinne, die Mutter nimmt es zur Seite und schlägt das Tier mit den ekel- oder angsterfüllten Worten "pfui, Spinne" tot. Dem Kleinkind wird schon beim ersten Mal oder durch wiederholte Erlebnisse solcher Art eingetrichtert, dass Spinnen gefährlich sind.
Warum haben Tiere Gift und wie wird es abgegeben?
Man nimmt an, dass sich Gifte aus dem Verdauungssystem heraus entwickelten. Immer schon enthielt Speichel zersetzende und damit schwach giftige Stoffe, die durch Gewebezerstörung eine Vorverdauung bewirken. Tiere, welche einen höheren Giftigkeitsgrad entwickelten, dürften schließlich einen Selektionsvorteil gegenüber weniger giftigen gehabt haben. So dürfte die reine, zu Lähmungen der Beute führende Giftkomponente, die nur zersetzende an Bedeutung übertroffen haben. Giftige Mundwaffen dürften also primär dem Nahrungskreis, nicht der Feindabwehr zuzuordnen sein. Bei Spinnen und Schlangen hat das ausgeschiedene Gift oft noch eine die Verdauung fördernde Wirkung.
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Tieren, die Gifte abgeben und solchen, die Krankheitserreger, wie Viren, Bakterien, Einzeller oder winzige Fadenwürmer, übertragen können. Diese gelangen mit dem Speichel in den menschlichen Körper und rufen in der Folge schwerwiegende Krankheiten hervor. Manche Tiere verfügen über beide Eigenschaften.
Bei den Gifttieren unterscheidet man zwischen aktiv und passiv giftigen. Aktiv bedeutet, dass das Gift über einen Giftapparat wie Zähne, Mundwerkzeuge und Stachel verabreicht wird, passiv, dass Giftstoffe in der Tierhaut oder im Körper bei Berührung oder Verzehr zu Vergiftungserscheinungen führen. Solche Gifte können vom Tier selbst produziert oder durch Fressen von Giftpflanzen angereichert werden. Hierher gehört auch die Produktion von Wehrsekreten. Dies sind oft stark riechende Flüssigkeiten, die Gegner abschrecken sollen. Solche Stoffe können bei Berührung Hautreizungen und allergische Reaktionen hervorrufen. Keinesfalls sollten die Finger nach einer Berührung in die Mund- oder Augenregion gelangen!
Wirkung von Giften
Gifte können vor allem zur Schädigung der Nerven (Neurotoxine) und des Blutes (Hämotoxine) mit all den Folgewirkungen führen. Die Nervenschädigung geschieht durch die Übertragungshemmung nervöser Impulse auf die Muskeln. Lähmungen sind die Folge, deren Ausdehnung auf das Atemzentrum den Erstickungstod bewirken kann. Durch Schädigung von Gefäßnerven und Gefäßen kann ein Kreislaufkollaps eintreten. Gifte mit Blut schädigender Wirkung können zu lebensbedrohenden Blutungen, Gewebszersetzungen (Nekrosen) sowie Leber- und Nierenschäden führen. Als Beispiel sei das Blut des Aales erwähnt. Wie bei allen Aalartigen (Anguilliformes) ist es auch bei ihm giftig. Es enthält das Nervengift Ichthyotoxin. Die toxische Wirkung beruht auf einem Protein, das die roten Blutkörperchen auflöst. Wird das Blut oral aufgenommen, kann es zu Verdauungsbeschwerden, Ausschlag und einem schlechten Allgemeinbefinden kommen. Der Kontakt über Wunden (an den Händen) kann zu Entzündungen führen. Direkt in die Gefäße injiziert, wirkt es jedoch schon in kleinen Mengen tödlich, auch für den Menschen. Die Giftwirkung geht vollständig verloren, wenn das Blut auf über 60° erhitzt wird. Also keine Gefahr bei geräucherten, gekochten oder gebratenen Aalen.
Jedes Gift setzt sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammen, die Gefährlichkeit für den Menschen ist oft nur von einem einzigen abhängig, der nicht einmal der giftigste sein muss (siehe Kasten).
Der anaphylaktische Schock
Er stellt die größte Gefahr für Menschen dar, die mit Tiergiften in Kontakt kommen. Dabei handelt es sich um eine extreme allergische Reaktion des menschlichen Körpers auf einen oder mehrere Bestandteile im Tiergift. Voraussetzung für eine solche Überreaktion ist eine vorangegangene Sensibilisierung des menschlichen Körpers. Das heißt, der Mensch muss früher bereits einmal mit der Substanz in Kontakt gekommen sein und der Körper hatte mit Antikörperbildung und Allergiebereitschaft reagiert. Am häufigsten tritt diese Schockform nach Insektenstichen, am stärksten bei der Biene, auf.
Gifttiere aus der Gruppe der Arthropoda oder Gliederfüßer
Tausendfüßer (Myriapoda)
Während die heimischen Schnurfüßer (Diplopoda) über äußerst effektive Wehrsekrete zum Schutz vor Fressfeinden verfügen, sind die Skolopender (Chilopoda) aktiv giftig. Ein Biss ist jedoch nur dann schmerzhaft und mitunter gefährlich, wenn es sich um größere Arten als den heimischen und nur drei cm großen Steinkriecher (Lithobius forficatus) handelt.
Insekten (Insecta)
Unter der enormen Vielfalt von weltweit geschätzt mehr als 2 Millionen Arten an sechsbeinigen Gliederfüßern befinden sich nur wenige, die auch dem Menschen gefährlich werden können. Man denkt dabei zuallererst an Bienen und Wespen, deren Stich schmerzhafte Folgen hat, mitunter aber auch Reaktionen beim Menschen auslöst, die zum Tod führen können (siehe unten). Das Gift an sich ist nicht gefährlich. In Unkenntnis des Phänomens Allergie (siehe Kasten) stellte man früher falsche quantitative Zusammenhänge her, die sich im Volksmund in unrichtigen Behauptungen manifestieren, dass "9 Hornissenstiche ein Pferd, 3 einen Menschen töten".
"Bienenstich"
Folgenschwere allergische Reaktionen können neben den Stichen von Bienen, Wespen und Hornissen natürlich auch die von Hummeln auslösen. Entgegen der weit verbreiteten Meinung, diese hätten gar keinen Stachel, ist die Wirkung eines Hummelstiches wegen des längeren Stachels und der Giftbestandteile oft schmerzhafter. Bei einem Bienenstich bleibt meist der gesamte Giftapparat wegen des stark gezähnten Stachels in der Haut von Säugetieren stecken. Wird dieser nicht sofort und fachgerecht entfernt, kommt es zu einer hohen Giftausschüttung.
Darüber hinaus zählen Ameisen und Schmetterlingsraupen zu den Gifttieren, sind aber an und für sich harmlos. Bei vielen Ameisenarten ist der Stachel, der ähnlich wie der von Wespen gebaut ist, rückgebildet, jedoch ist die Giftblase noch erhalten. Das Gift wird in diesem Fall versprüht und schmerzt, wenn es in eine Bisswunde eindringt. Außerdem brennt die Ameisensäure in den Augen und auf den Nasenschleimhäuten.
Schmetterlingsraupen können Vergiftungen beim Verzehr hervorrufen. Grund sind die giftige Körperflüssigkeit und die langen Brennhaare mancher Arten. Bei uns gelten der Kiefernprozessionsspinner, der Schwammspinner und der Goldafter als Vertreter mit giftigen Haaren, die bei Berührung aufbrechen und Hautreizungen aber auch allergische Reaktionen hervorrufen können. Bei Massenauftreten werden solche Haare auch durch den Wind vertragen und können vor allem Augenprobleme verursachen.
Manche Wanzen und Käfer verteidigen sich mit abgesonderten Wehrsekreten, die mitunter auch dem Menschen gefährlich werden können. Die Ölkäfer besitzen Cantharidin, welches stärker als Zyankali ist. Die bekanntesten Vertreter sind der Maiwurm Meloe violacea und die Spanische Fliege Lytta vesicatoria. Hier hilft Prävention: Berühren sie diese Tiere nicht!
Läuse, viele Wanzen, Flöhe, Fliegen, Mücken und Bremsen (v. a. Pferdebremsen) werden nicht zu den Gifttieren gezählt. Mit ihren stechenden Mundwerkzeugen durchdringen sie zwar die menschliche Haut, richten aber außer den bekannten Folgen keine Schäden an. Nur im schlimmsten Fall können sie Krankheiten auslösen oder andere folgenschwere Reaktionen bewirken, wie etwa eine Art Blutvergiftung vorwiegend bei Pferden und Rindern nach Massenstichen. Zu den Flöhen ist an dieser Stelle erwähnenswert, dass der Hundefloh sehr wohl auch Menschen befällt, Bisse jedoch hierzulande keine folgenschweren Auswirkungen haben.
Spinnentiere (Arachnida)
In tropischen Ländern zählen Vergiftungen nach Bissen von Spinnen und Stichen von Skorpionen vor allem unter der ländlichen Bevölkerung keineswegs zu den seltenen und ungefährlichen Ereignissen. Hierzulande kann es nur durch einen extremen Zufall zu an sich harmlosen Vergiftungserscheinungen kommen. Zwischenfälle bei Haltern von exotischen Gifttieren ausgenommen. Hier überwiegt aber die gesundheitliche Beeinträchtigung durch die Reizhaare mancher Vogelspinnen und Sekundärinfektionen (z. B. durch Verunreinigung der Wunde mit übertragenen Bakterien).
Von den mehr als 1000 Spinnenarten in Mitteleuropa sind etwa eine Hand voll zu jenen zu zählen, die mit ihren beiden in der Mundregion angesiedelten Giftklauen die menschliche Haut zu durchdringen vermögen. Abgesehen von einem leichten Schmerz beim Biss ist dann aber meist nichts mehr zu spüren. Die in pflanzenreichen Gewässern lebende, aber bereits sehr selten gewordene Wasserspinne (Argyroneta aquatica), der auf Wärmestandorte beschränkte und nur bei Provokation beißende Dornfinger (Cheiracanthium punctorium) und die nur in südlichen Regionen Österreichs sporadisch anzutreffende Südeuropäische Schwarze Witwe (Latrodectus tredecimguttatus) sind zu jenen Spinnen zu zählen, deren Biss Schmerzen und Kreislaufbeschwerden zur Folge haben kann. Bei der Schwarzen Witwe sind jedoch nur die Symptome wahrzunehmen, der Biss selbst wird fast nie bemerkt, daher auch der wissenschaftliche Name Latrodectus oder "stiller Beißer". Die als Tarantismus bezeichnete (leichte) Vergiftung, der in früheren Jahrhunderten auch die Tanzwut "Tarantella" zugeschrieben wurde, beruht höchstwahrscheinlich auf dem Biss einer Schwarzen Witwe und nicht auf dem der europäischen Tarantel (Wolfsspinne der Art Lycosa tarantula). Diese kommt zwar in Südeuropa häufig vor, Menschen beißt sie aber so gut wie nie. Der Ausspruch "wie von der Tarantel gebissen" gehört auf Europa bezogen wohl ins Reich der Fabeln. Auch die den pannonischen Raum besiedelnde Südrussische Tarantel (Lycosa singoriensis) ist im burgendländischen Seewinkel anzutreffen und ungefährlich.
Die wegen ihres zarten Körperbaues und der langen Beine an Weberknechte erinnernde Zitterspinne (Pholcus phalangioides) ist übrigens zu den absolut ungefährlichen Arten zu zählen. Das noch immer kursierende Gerücht, die Spinne habe das tödlichste Gift und könne nur nicht die menschliche Haut durchdringen, ist völlig an den Haaren herbeigezogen. Sie kann Menschen, die an solche Schauermärchen glauben, höchstens vor Schreck lähmen, ansonsten tut sie das nur mit Beutetieren von der Größe einer Gelse. Und das sollte uns eigentlich veranlassen, sie in unseren Räumlichkeiten zu dulden.
Die heimischen, wenige Zentimeter kleinen Vertreter der Skorpione sind als harmlos einzustufen und verursachen, sollten sie sich doch einmal nicht mit den Scheren sondern mit dem Schwanzstachel wehren, meist nur eine Lokalreaktion in Form einer schmerzhaften Rötung und Schwellung der Stichstelle.
Eine häufige Verwechslung passiert mit den Stichen von Kriebelmücken. Sie sehen aus wie kleine Fliegen, haben jedoch im Gegensatz zu diesen einen Stechrüssel, dessen Stich sehr unangenehm brennt. Als Verdächtige müssen dann oft Spinnen herhalten, weil sie sich in der Nähe befinden und "Fliegen ja nicht stechen". Die scheinbaren Übeltäter sind harmlose Winkelspinnen und Weberknechte. Wird der wahre Quälgeist Kriebelmücke entlarvt, setzt er sein Opfer meist in Erstaunen, weil ein so kleines Tier einen solchen Schmerz verursacht.
Auch Hundeflohbisse werden aufgrund der zwei Einstiche oft als Spinnenbisse missdeutet: Werden die Flöhe nämlich gestört, versuchen sie es daneben noch einmal.
Milben (Acari)
Von den Zecken (Ixodes riciunus) gehen viele Gefahren aus, keine steht jedoch in Zusammenhang mit einer Vergiftung. Zecken sollten so rasch wie möglich entfernt (siehe Entfernungstipps) und die Bissstelle längerfristig auf etwaige Auffälligkeiten beobachtet werden. Ein Arztbesuch sollte vor allem bei nicht immunisierten Personen auf alle Fälle in Betracht gezogen werden.
Giftig ist also nicht gleich gefährlich: Die Gefährlichkeit für uns Menschen hängt von vielen Umständen ab. Vorwiegend besteht sie im Auftreten der Wahrscheinlichkeit, einem Gifttier auf unliebsame Art zu begegnen. Die Biene ist somit als am gefährlichsten in unseren Breiten einzustufen. Keiner würde deshalb auf den Gedanken kommen, sie ausrotten zu müssen. Dulden wir daher auch die anderen Geschöpfe, wenngleich sie uns nicht vom gleichen unmittelbaren Nutzen erscheinen wie die demnach benannte Honigbiene.
Entfernungstipps
Um die Folgen des Stiches einer Biene oder des Bisses einer Zecke zu verringern, ist die fachgerechte Entfernung des Giftapparates bzw. des gesamten Tieres von Bedeutung. Beim Bienenstachel niemals die Giftblase mit den Fingern ergreifen. Dabei wird meist der ganze Inhalt in die Haut gedrückt. Besser ist es, den Stachelapparat in eine Richtung wegzustreifen, da man meist keine spitze Pinzette zur Hand hat, mit der man den Stachel selbst herausziehen kann. Letzteres Werkzeug ist bei Zecken angebracht. Auch hier gilt: Mit Fingern oder einer stumpfen Pinzette quetscht man nur Körperinhalte in die menschliche Haut und der Kopf bleibt dann noch stecken. Mit einer spitzen Pinzette schafft man es jedoch meist, alle Körperteile bis auf den Stechapparat zu beseitigen. Drehen ist entbehrlich, denn der Stechapparat ist wie ein Spreizdübel gestaltet und weist somit kein Rechts- oder Linksgewinde auf.
Fragen, Anliegen & Kritik an: dr.spiders.wildlife@gmail.com
Issue 6, 2002: 8-13 (Arthropoda).
Angst und Abscheu vor der scheinbaren Gefahr sind meist die Triebfedern für Verfolgung und Totschlagen. Dabei heißt giftig noch lange nicht gefährlich für uns Menschen. Nur das Wissen um die Zusammenhänge ist der Stoff, aus dem Achtung und Toleranz für Spinnen, Schlangen & CO. entstehen können.
Menschen verwendeten von Beginn an Giftstoffe aus dem Tier- und Pflanzenreich. Sie lernten mit den Gefahren zu leben, Gifte bei der Jagd und im Krieg einzusetzen, wie etwa die Pfeilgifte in Südamerika und Afrika, aber auch Gifte für Heilzwecke zu verwenden. Hier sei getrocknete Krötenhaut (Chán su oder Sen-so) genannt, die zur Bekämpfung von Herzschwäche in China und Japan angewandt und bereits vor mehr als 4000 Jahren erwähnt wurde.
Wissen ist Serum gegen die Angst
Trotz des guten Allgemeinwissens, über das wir heute verfügen, rufen Gifttiere immer noch vielerorts hysterische Reaktionen hervor. Solche sind jedoch gerade bei den hierzulande vorkommenden giftigen Vertretern unangebracht. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen stellen diese nämlich keine wirkliche Gefahr für uns Menschen dar. Man begegnet diesen Tieren nur äußerst selten, weil sie im Verborgenen leben und beim Herannahen fliehen. Der Kontakt verläuft ohne Beeinträchtigung, weil das Gift ohnedies harmlos ist. Einem an Phobie, einer krankhaften Angst, leidenden Menschen wird diese Aussage jedoch noch kein bisschen der Furcht nehmen. Und der Skeptiker würde auf die Ausnahmen verweisen.
Wie eine Phobie entstehen kann
Ein Kleinkind sitzt vor einer Spinne, die Mutter nimmt es zur Seite und schlägt das Tier mit den ekel- oder angsterfüllten Worten "pfui, Spinne" tot. Dem Kleinkind wird schon beim ersten Mal oder durch wiederholte Erlebnisse solcher Art eingetrichtert, dass Spinnen gefährlich sind.
Warum haben Tiere Gift und wie wird es abgegeben?
Man nimmt an, dass sich Gifte aus dem Verdauungssystem heraus entwickelten. Immer schon enthielt Speichel zersetzende und damit schwach giftige Stoffe, die durch Gewebezerstörung eine Vorverdauung bewirken. Tiere, welche einen höheren Giftigkeitsgrad entwickelten, dürften schließlich einen Selektionsvorteil gegenüber weniger giftigen gehabt haben. So dürfte die reine, zu Lähmungen der Beute führende Giftkomponente, die nur zersetzende an Bedeutung übertroffen haben. Giftige Mundwaffen dürften also primär dem Nahrungskreis, nicht der Feindabwehr zuzuordnen sein. Bei Spinnen und Schlangen hat das ausgeschiedene Gift oft noch eine die Verdauung fördernde Wirkung.
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Tieren, die Gifte abgeben und solchen, die Krankheitserreger, wie Viren, Bakterien, Einzeller oder winzige Fadenwürmer, übertragen können. Diese gelangen mit dem Speichel in den menschlichen Körper und rufen in der Folge schwerwiegende Krankheiten hervor. Manche Tiere verfügen über beide Eigenschaften.
Bei den Gifttieren unterscheidet man zwischen aktiv und passiv giftigen. Aktiv bedeutet, dass das Gift über einen Giftapparat wie Zähne, Mundwerkzeuge und Stachel verabreicht wird, passiv, dass Giftstoffe in der Tierhaut oder im Körper bei Berührung oder Verzehr zu Vergiftungserscheinungen führen. Solche Gifte können vom Tier selbst produziert oder durch Fressen von Giftpflanzen angereichert werden. Hierher gehört auch die Produktion von Wehrsekreten. Dies sind oft stark riechende Flüssigkeiten, die Gegner abschrecken sollen. Solche Stoffe können bei Berührung Hautreizungen und allergische Reaktionen hervorrufen. Keinesfalls sollten die Finger nach einer Berührung in die Mund- oder Augenregion gelangen!
Wirkung von Giften
Gifte können vor allem zur Schädigung der Nerven (Neurotoxine) und des Blutes (Hämotoxine) mit all den Folgewirkungen führen. Die Nervenschädigung geschieht durch die Übertragungshemmung nervöser Impulse auf die Muskeln. Lähmungen sind die Folge, deren Ausdehnung auf das Atemzentrum den Erstickungstod bewirken kann. Durch Schädigung von Gefäßnerven und Gefäßen kann ein Kreislaufkollaps eintreten. Gifte mit Blut schädigender Wirkung können zu lebensbedrohenden Blutungen, Gewebszersetzungen (Nekrosen) sowie Leber- und Nierenschäden führen. Als Beispiel sei das Blut des Aales erwähnt. Wie bei allen Aalartigen (Anguilliformes) ist es auch bei ihm giftig. Es enthält das Nervengift Ichthyotoxin. Die toxische Wirkung beruht auf einem Protein, das die roten Blutkörperchen auflöst. Wird das Blut oral aufgenommen, kann es zu Verdauungsbeschwerden, Ausschlag und einem schlechten Allgemeinbefinden kommen. Der Kontakt über Wunden (an den Händen) kann zu Entzündungen führen. Direkt in die Gefäße injiziert, wirkt es jedoch schon in kleinen Mengen tödlich, auch für den Menschen. Die Giftwirkung geht vollständig verloren, wenn das Blut auf über 60° erhitzt wird. Also keine Gefahr bei geräucherten, gekochten oder gebratenen Aalen.
Jedes Gift setzt sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammen, die Gefährlichkeit für den Menschen ist oft nur von einem einzigen abhängig, der nicht einmal der giftigste sein muss (siehe Kasten).
Der anaphylaktische Schock
Er stellt die größte Gefahr für Menschen dar, die mit Tiergiften in Kontakt kommen. Dabei handelt es sich um eine extreme allergische Reaktion des menschlichen Körpers auf einen oder mehrere Bestandteile im Tiergift. Voraussetzung für eine solche Überreaktion ist eine vorangegangene Sensibilisierung des menschlichen Körpers. Das heißt, der Mensch muss früher bereits einmal mit der Substanz in Kontakt gekommen sein und der Körper hatte mit Antikörperbildung und Allergiebereitschaft reagiert. Am häufigsten tritt diese Schockform nach Insektenstichen, am stärksten bei der Biene, auf.
Gifttiere aus der Gruppe der Arthropoda oder Gliederfüßer
Tausendfüßer (Myriapoda)
Während die heimischen Schnurfüßer (Diplopoda) über äußerst effektive Wehrsekrete zum Schutz vor Fressfeinden verfügen, sind die Skolopender (Chilopoda) aktiv giftig. Ein Biss ist jedoch nur dann schmerzhaft und mitunter gefährlich, wenn es sich um größere Arten als den heimischen und nur drei cm großen Steinkriecher (Lithobius forficatus) handelt.
Insekten (Insecta)
Unter der enormen Vielfalt von weltweit geschätzt mehr als 2 Millionen Arten an sechsbeinigen Gliederfüßern befinden sich nur wenige, die auch dem Menschen gefährlich werden können. Man denkt dabei zuallererst an Bienen und Wespen, deren Stich schmerzhafte Folgen hat, mitunter aber auch Reaktionen beim Menschen auslöst, die zum Tod führen können (siehe unten). Das Gift an sich ist nicht gefährlich. In Unkenntnis des Phänomens Allergie (siehe Kasten) stellte man früher falsche quantitative Zusammenhänge her, die sich im Volksmund in unrichtigen Behauptungen manifestieren, dass "9 Hornissenstiche ein Pferd, 3 einen Menschen töten".
"Bienenstich"
Folgenschwere allergische Reaktionen können neben den Stichen von Bienen, Wespen und Hornissen natürlich auch die von Hummeln auslösen. Entgegen der weit verbreiteten Meinung, diese hätten gar keinen Stachel, ist die Wirkung eines Hummelstiches wegen des längeren Stachels und der Giftbestandteile oft schmerzhafter. Bei einem Bienenstich bleibt meist der gesamte Giftapparat wegen des stark gezähnten Stachels in der Haut von Säugetieren stecken. Wird dieser nicht sofort und fachgerecht entfernt, kommt es zu einer hohen Giftausschüttung.
Darüber hinaus zählen Ameisen und Schmetterlingsraupen zu den Gifttieren, sind aber an und für sich harmlos. Bei vielen Ameisenarten ist der Stachel, der ähnlich wie der von Wespen gebaut ist, rückgebildet, jedoch ist die Giftblase noch erhalten. Das Gift wird in diesem Fall versprüht und schmerzt, wenn es in eine Bisswunde eindringt. Außerdem brennt die Ameisensäure in den Augen und auf den Nasenschleimhäuten.
Schmetterlingsraupen können Vergiftungen beim Verzehr hervorrufen. Grund sind die giftige Körperflüssigkeit und die langen Brennhaare mancher Arten. Bei uns gelten der Kiefernprozessionsspinner, der Schwammspinner und der Goldafter als Vertreter mit giftigen Haaren, die bei Berührung aufbrechen und Hautreizungen aber auch allergische Reaktionen hervorrufen können. Bei Massenauftreten werden solche Haare auch durch den Wind vertragen und können vor allem Augenprobleme verursachen.
Manche Wanzen und Käfer verteidigen sich mit abgesonderten Wehrsekreten, die mitunter auch dem Menschen gefährlich werden können. Die Ölkäfer besitzen Cantharidin, welches stärker als Zyankali ist. Die bekanntesten Vertreter sind der Maiwurm Meloe violacea und die Spanische Fliege Lytta vesicatoria. Hier hilft Prävention: Berühren sie diese Tiere nicht!
Läuse, viele Wanzen, Flöhe, Fliegen, Mücken und Bremsen (v. a. Pferdebremsen) werden nicht zu den Gifttieren gezählt. Mit ihren stechenden Mundwerkzeugen durchdringen sie zwar die menschliche Haut, richten aber außer den bekannten Folgen keine Schäden an. Nur im schlimmsten Fall können sie Krankheiten auslösen oder andere folgenschwere Reaktionen bewirken, wie etwa eine Art Blutvergiftung vorwiegend bei Pferden und Rindern nach Massenstichen. Zu den Flöhen ist an dieser Stelle erwähnenswert, dass der Hundefloh sehr wohl auch Menschen befällt, Bisse jedoch hierzulande keine folgenschweren Auswirkungen haben.
Spinnentiere (Arachnida)
In tropischen Ländern zählen Vergiftungen nach Bissen von Spinnen und Stichen von Skorpionen vor allem unter der ländlichen Bevölkerung keineswegs zu den seltenen und ungefährlichen Ereignissen. Hierzulande kann es nur durch einen extremen Zufall zu an sich harmlosen Vergiftungserscheinungen kommen. Zwischenfälle bei Haltern von exotischen Gifttieren ausgenommen. Hier überwiegt aber die gesundheitliche Beeinträchtigung durch die Reizhaare mancher Vogelspinnen und Sekundärinfektionen (z. B. durch Verunreinigung der Wunde mit übertragenen Bakterien).
Von den mehr als 1000 Spinnenarten in Mitteleuropa sind etwa eine Hand voll zu jenen zu zählen, die mit ihren beiden in der Mundregion angesiedelten Giftklauen die menschliche Haut zu durchdringen vermögen. Abgesehen von einem leichten Schmerz beim Biss ist dann aber meist nichts mehr zu spüren. Die in pflanzenreichen Gewässern lebende, aber bereits sehr selten gewordene Wasserspinne (Argyroneta aquatica), der auf Wärmestandorte beschränkte und nur bei Provokation beißende Dornfinger (Cheiracanthium punctorium) und die nur in südlichen Regionen Österreichs sporadisch anzutreffende Südeuropäische Schwarze Witwe (Latrodectus tredecimguttatus) sind zu jenen Spinnen zu zählen, deren Biss Schmerzen und Kreislaufbeschwerden zur Folge haben kann. Bei der Schwarzen Witwe sind jedoch nur die Symptome wahrzunehmen, der Biss selbst wird fast nie bemerkt, daher auch der wissenschaftliche Name Latrodectus oder "stiller Beißer". Die als Tarantismus bezeichnete (leichte) Vergiftung, der in früheren Jahrhunderten auch die Tanzwut "Tarantella" zugeschrieben wurde, beruht höchstwahrscheinlich auf dem Biss einer Schwarzen Witwe und nicht auf dem der europäischen Tarantel (Wolfsspinne der Art Lycosa tarantula). Diese kommt zwar in Südeuropa häufig vor, Menschen beißt sie aber so gut wie nie. Der Ausspruch "wie von der Tarantel gebissen" gehört auf Europa bezogen wohl ins Reich der Fabeln. Auch die den pannonischen Raum besiedelnde Südrussische Tarantel (Lycosa singoriensis) ist im burgendländischen Seewinkel anzutreffen und ungefährlich.
Die wegen ihres zarten Körperbaues und der langen Beine an Weberknechte erinnernde Zitterspinne (Pholcus phalangioides) ist übrigens zu den absolut ungefährlichen Arten zu zählen. Das noch immer kursierende Gerücht, die Spinne habe das tödlichste Gift und könne nur nicht die menschliche Haut durchdringen, ist völlig an den Haaren herbeigezogen. Sie kann Menschen, die an solche Schauermärchen glauben, höchstens vor Schreck lähmen, ansonsten tut sie das nur mit Beutetieren von der Größe einer Gelse. Und das sollte uns eigentlich veranlassen, sie in unseren Räumlichkeiten zu dulden.
Die heimischen, wenige Zentimeter kleinen Vertreter der Skorpione sind als harmlos einzustufen und verursachen, sollten sie sich doch einmal nicht mit den Scheren sondern mit dem Schwanzstachel wehren, meist nur eine Lokalreaktion in Form einer schmerzhaften Rötung und Schwellung der Stichstelle.
Eine häufige Verwechslung passiert mit den Stichen von Kriebelmücken. Sie sehen aus wie kleine Fliegen, haben jedoch im Gegensatz zu diesen einen Stechrüssel, dessen Stich sehr unangenehm brennt. Als Verdächtige müssen dann oft Spinnen herhalten, weil sie sich in der Nähe befinden und "Fliegen ja nicht stechen". Die scheinbaren Übeltäter sind harmlose Winkelspinnen und Weberknechte. Wird der wahre Quälgeist Kriebelmücke entlarvt, setzt er sein Opfer meist in Erstaunen, weil ein so kleines Tier einen solchen Schmerz verursacht.
Auch Hundeflohbisse werden aufgrund der zwei Einstiche oft als Spinnenbisse missdeutet: Werden die Flöhe nämlich gestört, versuchen sie es daneben noch einmal.
Milben (Acari)
Von den Zecken (Ixodes riciunus) gehen viele Gefahren aus, keine steht jedoch in Zusammenhang mit einer Vergiftung. Zecken sollten so rasch wie möglich entfernt (siehe Entfernungstipps) und die Bissstelle längerfristig auf etwaige Auffälligkeiten beobachtet werden. Ein Arztbesuch sollte vor allem bei nicht immunisierten Personen auf alle Fälle in Betracht gezogen werden.
Giftig ist also nicht gleich gefährlich: Die Gefährlichkeit für uns Menschen hängt von vielen Umständen ab. Vorwiegend besteht sie im Auftreten der Wahrscheinlichkeit, einem Gifttier auf unliebsame Art zu begegnen. Die Biene ist somit als am gefährlichsten in unseren Breiten einzustufen. Keiner würde deshalb auf den Gedanken kommen, sie ausrotten zu müssen. Dulden wir daher auch die anderen Geschöpfe, wenngleich sie uns nicht vom gleichen unmittelbaren Nutzen erscheinen wie die demnach benannte Honigbiene.
Entfernungstipps
Um die Folgen des Stiches einer Biene oder des Bisses einer Zecke zu verringern, ist die fachgerechte Entfernung des Giftapparates bzw. des gesamten Tieres von Bedeutung. Beim Bienenstachel niemals die Giftblase mit den Fingern ergreifen. Dabei wird meist der ganze Inhalt in die Haut gedrückt. Besser ist es, den Stachelapparat in eine Richtung wegzustreifen, da man meist keine spitze Pinzette zur Hand hat, mit der man den Stachel selbst herausziehen kann. Letzteres Werkzeug ist bei Zecken angebracht. Auch hier gilt: Mit Fingern oder einer stumpfen Pinzette quetscht man nur Körperinhalte in die menschliche Haut und der Kopf bleibt dann noch stecken. Mit einer spitzen Pinzette schafft man es jedoch meist, alle Körperteile bis auf den Stechapparat zu beseitigen. Drehen ist entbehrlich, denn der Stechapparat ist wie ein Spreizdübel gestaltet und weist somit kein Rechts- oder Linksgewinde auf.
Fragen, Anliegen & Kritik an: dr.spiders.wildlife@gmail.com
Dr Spider - 2005-06-20 21:00
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